Ausstellung ‚Die Nähe des Verlorenen‘ im Atelier Brandt Credo

von Niels Behn am 27. Juli 2018

‚Die Nähe des Verlorenen‘

Malerei | Zeichnung | Installation von Maryam Motallebzadeh im Atelier Brandt Credo vom 4. August bis zum 30. September 2018.

Es ist wohl selten, dass so viel Gefühl, so viel Emotionen und Gedanken in eine Ausstellung einfließen. Für die Künstlerin Maryam Motallebzadeh war die Zeit nach dem Tod ihres Vaters im Januar 2018 eine schwere Zeit. Umso wichtiger ist nach Monaten der Trauer die Aufarbeitung der Vergangenheit in der aktuellen Ausstellung, die sich in zwei wesentliche Bereiche gliedert: Zum einen die Rauminstallation mit Gedichten an den Vater, zum anderen die Lockenbilder aus der Reihe ‚Notwendige Briefe‘.

„In meinem Leben war mein Vater sehr nah und sehr wichtig. Wir haben uns oft mit Gedichten begrüßt. Mein Vater war ein Poet für mich“, erinnert sich die Künstlerin. Nicht begehbar, nur durch einen transparenten Vorhang ist die für ‚Die Nähe des Verlorenen‘ konzipierte Rauminstallation zu betrachten: Papierbahnen mit Gedichten des Vaters und Gedichten, die Maryam nach seinem Tod geschrieben hat – mit Tusche in Farsi, der persischen Sprache. Auch die Linien der Locken auf den im Raum hängenden Papierbahnen gehören zur Installation.

Das in der Vorbereitung aufgenommene Foto zeigt die Künstlerin mit einem schwarzen Schleier, dem Zeichen der Trauer. Mit ihrer Hand stützt sie das übermalte Foto vom Grab ihres Vaters mit leuchtend roten Rosen. Im Hintergrund befinden sich die Papierbahnen mit Gedichten und Lockenzeichnungen. „Ich habe in der Trauerzeit sehr viele Locken verloren.“

Maryam Motallebzadeh wurde im Iran geboren und gewann bereits mit dreizehn Jahren den Kunstpreis für Malerei der renommierten Bildungsorganisation Hadaf. Diese Auszeichnung hat schon sehr früh ihren Lebensweg beeinflusst. 1978 gründete sie eine eigene Galerie in Teheran, die sie über zwei Jahrzehnte leitete. 1999 kam sie nach Deutschland, nahm ein Studium auf und machte 2007 ihr Diplom Bildende Kunst an der Hochschule für Künste Bremen. Seit 2002 gab es international Präsentationen und Auftritte mit Raum-, Audio- und Video-Installationen, Performances, Filmen und Medienmix, Arbeitsstipendien, Projektleitungen und Kurationen. Seit 2016 hat sie Lehraufträge an der Universität von Chengdu-Sichuan, China.

Hier nur kurz angerissen eine Auswahl der Ausstellungen seit 2000: In vielen deutschen Städten und international u.a. in Teheran, Bangkok, Barcelona, Wien, Stockholm, Toulouse, Luzern, Toronto, Chengdu-Sichuan. Vielseitigkeit zeichnet die in Berlin und Bremen lebende Künstlerin aus: Sie ist Malerin, Bildhauerin, Filmerin, Performance-Künstlerin, sie ist Perserin, sie ist auch Deutsche, sie ist eine Reisende oder auch eine weit gereiste, eine Botschafterin zwischen den Kulturen und sie ist ein politischer Geist.

Die Ausstellung in der Galerie im Altbremer Haus wäre nicht vollständig ohne die Lockenbilder aus der Reihe ‚Notwendige Briefe‘. Alles begann mit einem Schatten: Als eine ihrer Locken, deren Ende sich zu einem Kreis schloss, einen Schatten auf Papier warf, zog Maryam die Linien nach, schnitt sie ab und ergänzte sie mit einem Punkt zu dem persischen Zeichen für das Wort „Wohin“. Damit begegnen sich auf dem Papier die Sprache und das Merkmal der  gekräuselten Haare. Gemeinsam fragen sie „Wohin?“ Vor einigen Jahren begonnen, wurde diese Reihe auch in 2018 mit Malerei in Mischtechnik auf Leinwand und Zeichnungen in Mischtechnik und Tusche auf Papier weitergeführt. „Ich muss weiterschreiben, es ist notwendig für mich. Ich muss denken -. denken ist für mich Kunst. Viele Gedanken kann ich nicht selbst schreiben, meine Locken schreiben …“, äußert die Künstlerin sehr emotional. Auf die Betrachter der Werke wirken die kräftigen Pinselspuren dynamisch und spontan, bleiben oft rätselhaft. Die Linien und Punkte werden zu lebendigen und offenen Spuren kultureller Identität. Sie werden – und das ist der Künstlerin wichtig – interkulturell lesbar. So bereichert Maryam Motallebzadeh das Kunstgeschehen unserer Zeit, begreift die Künstlertätigkeit als eine Form der Berufung, als Lebenswerk, fernab von sporadischen künstlerischen Eingebungen und Beschäftigungen. Viele Gedanken warten, viele Projekte wollen noch umgesetzt werden!

Die Arbeiten der Ausstellung ‚Die Nähe des Verlorenen‘ können bis zum 30. September im Atelier Brandt Credo, Meyerstr. 145, 28201 Bremen, jeweils sonntags von 16-18 Uhr betrachtet werden. Individuelle Besichtigungstermine sind nach Absprache unter Tel. 55 84 55 jederzeit möglich.

 

 

 

{ 0 Kommentare… jetzt einen hinzufügen }

Einen Kommentar hinterlassen